Berlin – Mehr als sechs Millionen Erwachsene im erwerbsfähigen Alter in Deutschland haben Schwierigkeiten beim Schreiben und Lesen. Das Ausfüllen eines Formulars beim Arzt, die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder die Beantragung in der Praxis ist für sie oft ein unüberwindbares Problem. Adrian Eppel hilft dabei, die sogenannten funktionalen Analphabeten davon zu überzeugen, ihre Behinderung zuzugeben und sich zu entscheiden, ihre Bildungsdefizite zu korrigieren. Mit seinen Kollegen vom Bildungsprojekt ALFA-Mobil reist er durch Deutschland und versucht, Behinderten Mut zu machen, damit sie ihre Scham überwinden und sich für Kurse anmelden. Illustrieren, so Eppel in einem Interview mit ČTK, richtet sich auch an die Öffentlichkeit, da dieses Thema in der Gesellschaft oft tabuisiert wird.
Analphabetismus ist definiert als die Unfähigkeit zu lesen und zu schreiben. „Dank der allgemeinen Schulpflicht gehen wir davon aus, dass es in Deutschland im Gegensatz zum funktionalen Analphabetismus keinen Analphabetismus gibt“, sagte Katharina Koufenová vom Bundesbildungsministerium gegenüber ČTK. Dem Ministerium seien keine Statistiken zur Erfassung des Analphabetismus in Deutschland bekannt. Auf der anderen Seite hat das Ministerium dank einer Studie der Universität Hamburg ein klares Bild vom funktionalen Analphabetismus, wenn Menschen die Buchstaben im Prinzip kennen, aber nur einen Mehrworttext zusammenstellen und lesen können.
„Die Studie zeigt, dass die Zahl der funktionalen Analphabeten von 7,5 Millionen im Jahr 2010 auf 6,2 Millionen im Jahr 2018 gesunken ist“, sagte Koufen über die Arbeit der Universität Hamburg. Die Zahlen seien laut Eppel mit Vorsicht zu genießen, da die Untersuchung nur die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ohne ältere Erwachsene, also im Bereich der 18- bis 64-Jährigen, einbeziehe. Die tatsächlichen Zahlen können höher sein.
Es ist schwierig, einen funktionalen Analphabeten zu treffen, weil es seine Mängel verbirgt. Und nur wenige können sagen, dass sie jemanden kennen, der mit dem Lesen und Schreiben zu kämpfen hat. „Statistisch gesehen treffen wir jeden Tag alle Betroffenen, es ist jeder achte Erwachsene“, sagt Eppel. Er erklärt, dass die Beurteilung unzureichender Alphabetisierung in drei Stufen unterteilt ist. „In der ersten Klasse kann man nur Buchstaben erkennen, in der zweiten Klasse ist die Lese- und Schreibfähigkeit auf die Ebene der Wörter beschränkt, wo die Leute ihre Adresse schreiben können. In der dritten Klasse können die Leute kurze Sätze lesen und schreiben ein bisschen“, sagt er.
Die erste Stufe betrifft den Forschern zufolge in Deutschland etwa 300.000 Erwachsene im erwerbsfähigen Alter, die zweite 1,7 Millionen und die dritte 4,2 Millionen Erwachsene. Obwohl mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland lesen und schreiben können, erreichen sie beispielsweise in der Rechtschreibung nicht das Niveau der Grundbildung.
Die deutsche Gesellschaft habe laut Eppel noch nicht ganz akzeptiert, dass Millionen Menschen in einem wirtschaftlich entwickelten und wohlhabenden Land mit dem Text zu kämpfen hätten. „In Deutschland Geborene sagen, das sei nicht unser Problem, Ausländer können nicht richtig lesen und schreiben. Aber das ist ein Irrtum, das Problem betrifft die gesamte erwachsene Bevölkerung. In absoluten Zahlen sind es sogar diejenigen, deren Muttersprache Deutsch ist.“ er sagt. „Konkret sind es die 53 Prozent der Menschen, die Deutsch sprechen, hier geboren sind, deutsche Schulen besucht haben und das deutsche Schulsystem durchlaufen haben“, sagte er.
Eppel weist auch darauf hin, dass Vorurteile in diesem Bereich auch zwischen den Ost- und Westteilen des einst geteilten Deutschlands bestehen. „Im Osten habe ich vor allem von älteren Menschen gehört, dass es in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ein strenges Bildungssystem gab, also mussten alle lernen, nicht wie im liberalen Westdeutschland, wo man machen konnte, was man wollte. Das würde ich gerne. In Westdeutschland wird behauptet, es sei ein Überbleibsel der DDR, der Probleme hatte“, sagt Eppel. Spezifische regionale Statistiken gibt es nicht, aber ganz Deutschland steht vor einem Problem.
Wer nicht richtig lesen und schreiben kann, ist durch seine Behinderung nicht nur im Berufsleben, sondern auch im Privatleben eingeschränkt, da er seinen Wohnort und seine Umgebung kaum verlassen kann. „Ich kann den Fall einer Frau erwähnen, die ihre Tochter nicht in einer anderen Stadt besuchen wollte. Ich konnte den U-Bahn-Plan nicht kennen und wollte andere Leute nicht um Hilfe bitten“, sagt Eppel. „Oder eine andere Frau, die, wenn sie unter der Woche ein Meeting im Büro hatte oder irgendwo einen Platz beantragte, am vergangenen Wochenende mit einer Freundin die Route gemacht hat, um zu wissen, wie die Straße ist, wo sie umsteigen muss“, sagt sie sagte. .
Den Fahrplan zu kennen, ein Ticket am Automaten oder über das Internet zu kaufen und sich im öffentlichen Nahverkehr zurechtzufinden, ist nur eines der vielen Probleme, mit denen funktionale Analphabeten täglich konfrontiert sind. „Das ist viel. Ob Kommunikation, E-Mail schreiben, SMS verschicken, Termin vereinbaren, Verträge unterschreiben“, schätzt Eppel.
Menschen mit Behinderungen haben auch weniger Zugang zur Gesundheitsversorgung. Das Hindernis ist nicht nur der Kontakt mit der Krankenkasse, sondern auch der Besuch in der Praxis selbst. „Es gibt Situationen, in denen man einen Anamnesefragebogen ausfüllen muss. Diese Leute sind frustriert, geben das Formular lieber zurück und sagen, dass sie eigentlich keinen Arzt brauchen“, sagt Eppel.
Viele Menschen, die weder lesen noch schreiben können, haben eine vertraute Person, die ihnen bei allem hilft, Behördengänge regelt und den Schriftverkehr erledigt. „Aber wenn sie diese Vertrauensperson verlieren, wenn sie sterben, ziehen sie um, die Ketten sind gerissen, dann kommt der Wendepunkt, wenn man sagt, man muss endlich etwas mit der Bildung machen“, sagt Eppel. „Es ist auch ein Wendepunkt, wenn Kinder in die Schule gehen oder wenn Menschen mit Behinderungen merken, dass sie ihren Enkelkindern gerne vorlesen würden“, fügt er hinzu.
Wer sich entschließt, die Lücken im Lesen und Schreiben zu korrigieren, kommt ohne Motivation nicht aus. „Wir arbeiten mit denen zusammen, die als Erwachsene richtig lesen und schreiben gelernt haben. Sie fungieren als Bildungsbotschafter und können durch ihre eigene Erfahrung den Menschen Vertrauen geben und sie besser motivieren, weil sie ihnen sagen, dass Abhilfe funktionieren kann, dass sich ihr Leben verbessert hat. , unabhängig geworden ist, kann man durch Deutschland reisen oder Memoiren für die Enkel schreiben“, sagt Eppel.
Allerdings, so Eppel, reiche es nicht aus, die Folgen zu korrigieren, man müsse sich auch auf die Gründe konzentrieren, warum Menschen nicht richtig lesen und schreiben gelernt haben. „Jemand lernt langsamer, deshalb stoßen sie auf Intoleranz und Spott“, nennt er einen der Gründe, warum Kinder die Bildung aufgeben. „Die Rolle der Eltern ist wichtig, um ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen und sich für ihre Bildung zu interessieren. Manche Eltern haben keine Zeit für Kinder. Unterstützung in den Schulen ist wichtig, wir müssen im Schulsystem viel verbessern. Drogen- oder Alkoholabhängigkeit“, ergänzt Eppel.
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