1992 beschloss Deutschland, die Hauptstadt an Berlin zurückzugeben | Deutsche Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Nachrichten | DW

Am 20. Juni 1991, nach der achtmonatigen Wiedervereinigung Deutschlands, mussten die 660 Bundestagsabgeordneten mit Sitz in Bonn eine Entscheidung von historischer Bedeutung treffen: Bundestag und Regierung sollten in der Provinzstadt im Westen des Landes bleiben . , dann die deutsche Hauptstadt, oder zurück nach Berlin, der Stadt, die seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 bis 1945 Hauptstadt war?

Soll das historisch aufgeladene Berlin wieder zum politischen Zentrum des größten und mächtigsten Deutschlands werden? Als die Bundesrepublik gegründet wurde, war davon keine Rede. Die Männer und Frauen des ersten Deutschen Bundestages, die erstmals 1949 in Bonn zusammentraten, sahen die Stadt nur als „provisorischen Sitz“.

Einen Moment lang war die Mehrheit gegen Berlin

In Artikel 2 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 heißt es: „Die Hauptstadt Deutschlands ist Berlin“, und fügt hinzu, dass „die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung nach der Herstellung der deutschen Einheit entschieden wird“.

Applaus nach der leidenschaftlichen Rede von Wolfgang Schäuble für Berlin

Weniger als ein Jahr später war die Stunde der Wahrheit gekommen. Vier Tage vor der entscheidenden Abstimmung ergab eine Umfrage unter Abgeordneten, dass nur 267 von ihnen Berlin favorisierten, während 343 Bonn bevorzugten. Doch am 20. Juni 1991, nach elfstündiger Debatte, übernahm Berlin unerwartet die Führung: 338 zu 320. Wie ist dieser Stimmungswandel zu erklären? Einer der Verantwortlichen für diese Veränderung war Wolfgang Schäuble, heute Bundestagspräsident.

Brandt grüßt Schäuble

Nach 48 Jahren beschwor Schäuble in seiner Plenarrede die bewegte Geschichte der alten und neuen deutschen Hauptstädte wie kein anderer herauf. Er ließ kein historisches Ereignis unerwähnt: den Volksaufstand der DDR am 17. Juni 1953, den Bau der Berliner Mauer im August 1961, den Fall der Mauer am 9. November 1989 und schließlich die Deutsche Einheit am 3. Juni. Oktober 1990.

„Berlin war wie keine andere Stadt immer ein Symbol für Einheit und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für ganz Deutschland“, sagte der Christdemokraten und stellte fest, dass „die Verbundenheit der freien Welt mit der Einheit und Freiheit von nirgendwo hat sie die Deutschen stärker angesprochen als in Berlin.“

Nach der Rede erhoben sich Hunderte Abgeordnete von ihren Sitzen und klatschten einige Minuten lang. Der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt, Friedensnobelpreisträger und ehemaliger Regierungschef in West-Berlin, kam nach Schäuble, um ihm die Hand zu schütteln.

Der Bundestag tagte erstmals 1949 in Bonn

1949 tagte erstmals das Parlament in Bonn: Die Stadt galt als provisorische Hauptstadt

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher und große sozialdemokratische Führer wie Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel unterstützten Berlin.

Ein Gefallen aus Bonn

Nach Schäuble war der nächste Redner der ehemalige Innenminister Gerhart Baum, der in Dresden (also im Osten) geboren wurde, aber im Rheinland (im Westen) aufgewachsen und politisch sozialisiert wurde. Er stimmte Schäuble ausdrücklich zu: Berlin ist in besonderer Weise ein Symbol für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.

„Aber wäre Bonn nicht auch ein Symbol für 40 Jahre erfolgreiche Demokratie, die das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Welt begründete, ihre europäische Integration vollendete und schließlich auch die Chance für die deutsche Einheit offen hielt?“

Dreißig Jahre später hat er seine Skepsis gegenüber Berlin nicht verloren. „Ich bin immer noch der Meinung, dass eine Abkehr von einer antiquierten Hauptstadt und ein pluralistischer Staat mit unterschiedlichen Zentren eine gangbare Alternative gewesen wäre“, sagt der heute 88-jährige Rentner der DW. „Das politische Klima in Bonn war gut für die Republik.“

Hoffnungen enttäuscht

Auch die Sozialdemokratin Dagmar Enkelmann verbindet mit dem Umzug von Bonn nach Berlin enttäuschte Hoffnungen. Bei der Abstimmung 1991 war er Abgeordneter. „Unsere Hoffnung war, dass mit der Veränderung die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West schneller vorangetrieben wird“, sagt Enkelmann.

„Das ist aber nicht passiert“, beklagt der derzeitige Präsident der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Der erst mit der Jahrtausendwende vollzogene Wandel sei ihrer Meinung nach vor allem ein „symbolischer Akt“.

Er kritisiert auch, dass 30 Jahre nach der historischen Entscheidung noch sechs Ministerien ihren offiziellen Sitz in Bonn haben, die Regierung sei aufgeblasen und es gebe keine Kosteneinsparungen.

Baldric Schreiber

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