Brasilien in der deutschen Presse (09/15) | Nachrichten und Analyse der wichtigsten Ereignisse in Brasilien | DW

Zeit Online – Gefährlich in der Defensive (9/14)

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro verlor aufgrund der Pandemie und der Wirtschaftskrise an Popularität. Jetzt versucht er, seine Macht durch finsterere Methoden zu sichern.

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Der 66-jährige Ex-Kapitän festigt seine eigene Macht vor allem durch Spaltung. Er hatte seine Karriere als Parlamentarier bereits darauf gegründet, von der Rückseite des Parlaments aus Provokationen gegen Frauen, Homosexuelle und indigene Völker zu fördern. Dabei behielt er eine kleine reaktionäre Minderheit auf seiner Seite. Und seit er Präsident wurde, hat er dies mit Stil getan.

In aktuellen Umfragen unterstützen 25% der Brasilianer weiterhin den Präsidenten und ein Teil dieser Basis ist sogar hochmotiviert, geht zu Pro-Bolsonaro-Demonstrationen und ist in den Pro-Bolsonaro-Social Media aktiv. Diese Fangemeinde radikalisiert sich. Angetrieben von Bolsonaros wohlkalkulierten Reden und verbalen Attacken fordern sie mal die Abschaffung der Demokratie, mal die Verhaftung oder gar den Tod gesellschaftlicher Minderheiten. Auf Transparenten fordern sie Bolsonaro auf, die alte Militärdiktatur mit ihren Foltergenerälen auszurufen. Dann steht der Präsident vor der Menge, ist sich dieser Forderungen voll bewusst und grüßt. Er ist der Putschisten ihres Herzens

Frankfurter Allgemeine Zeitung – Bolsonaros Verbündete, Bolsonaros Gegner (09.09.)

Der Kampf zwischen Justiz und Präsident eskaliert weiter. Bolsonaros Anhänger gehen auf die Straße, aber auch der Widerstand wächst. Kann der Präsident Brasiliens einem Amtsenthebungsverfahren widerstehen?

Präsident Jair Bolsonaro verhehlt nicht mehr, dass er bereit ist, die Regeln der Demokratie und der Institutionen zu ignorieren, um an der Macht zu bleiben. Anlässlich der massiven Demonstrationen seiner Anhänger zum Unabhängigkeitstag, den er selbst ausrief, wurde es deutlicher denn je. Er drohte damit, den Entscheidungen der einzelnen Richter nicht mehr Folge zu leisten. Wenn das Gericht nicht aufhört, kann man leiden, „was wir nicht wollen“.

Wie reagiert das Land auf einen Präsidenten, der unverblümt droht, den Obersten Gerichtshof zu schließen und damit einen Putsch durchzuführen? Der oberste Präsident antwortete auf die Drohungen Bolsonaros, indem er sagte, dass niemand das Gericht schließen werde. Und dass es ein Verbrechen ist, die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu ignorieren.

Nun wurden im Kongress die Diskussionen über ein Abschiebungsverfahren neu entfacht. Die jüngsten Drohungen Bolsonaros haben zwei bisher neutrale traditionelle Parteien dazu veranlasst, sich der Opposition anzuschließen, die seit einiger Zeit die Absetzung Bolsonaros fordert. Der Block ist jedoch nicht groß genug, um eine solche Prozedur zu öffnen. Zudem liegt die erste diesbezügliche Entscheidung beim Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Arthur Lira. Mehr als 100 Amtsenthebungsverfahren liegen auf Ihrem Schreibtisch. Er entscheidet nur, ob einer von ihnen angenommen wird.

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Die Eskalation und Drohungen weckten nicht nur Politiker, sondern auch die Bevölkerung. Noch vor der Kundgebung der Bolsonaro-Anhänger am Unabhängigkeitstag wurden Anti-Bolsonaro-Kundgebungen für den folgenden Sonntag angekündigt. Viele sehen dies als Chance, die verschiedenen Flügel der Opposition hinter dem Aufruf zur Amtsenthebung und der Verteidigung der Demokratie zu vereinen.

Spiegel – Geiselnahme des Präsidenten (11/09)

Jair Bolsonaro ist geschwächt, aber er könnte der brasilianischen Demokratie weiterhin großen Schaden zufügen.

In den sozialen Medien präsentiert sich Jair Bolsonaro als beliebter Präsident, der es hasste, den Dienstag, einen Nationalfeiertag, auf einem Sound-Truck in São Paulo vor Zehntausenden Anhängern zu feiern. Niemand sieht, dass die meisten Leute dorthin gebracht werden mussten oder dass nur ein Bruchteil des erwarteten Publikums bei der Vorveranstaltung in Brasilia erschienen ist. Zuvor war zu befürchten, dass der in die Enge getriebene Präsident seine Anhänger wie Donald Trump in den USA auffordern könnte, in den Obersten Gerichtshof einzumarschieren. Stattdessen führte Bolsonaro einen dreiminütigen Monolog vor dem harten Kern seiner Anhänger durch. Er griff die gegen ihn ermittelnde Justiz an und kündigte an, sich künftig nicht mehr an Gerichtsurteile zu halten.

Bolsonaro kämpft um sein eigenes politisches Überleben: Laut Umfragen unterstützt ihn nur noch ein Viertel der Befragten. Angesichts einer schweren Wirtschaftskrise, hoher Arbeitslosigkeit, einer dramatischen Dürre und mehr als 500.000 Toten durch das Coronavirus ist es immer noch eine beachtliche Summe, aber sie reicht nicht aus, um einen Putsch zu starten und nicht einmal die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr zu gewinnen.

Ernst zu regieren ist etwas, was Bolsonaro in den letzten Jahren kaum getan hat, es sei denn, man betrachtet seine YouTube-Darstellungen als Regierungskunst. Und von nun an wird es nur noch dem Wahlkampf gewidmet sein. Brasilien ist zur Geisel eines Präsidenten geworden, der keinen anderen Plan hat, als sich Feinde aufzubauen. Ein Teil der Schuld ist, dass er immer noch in der Rolle von Mitgliedern des Zentrums sitzt, die Bolsonaro im Parlament unterstützen, weil er ihnen Jobs und Sozialleistungen verschafft. Vor dem Parlamentspräsidenten Arthur Lira, der ebenfalls als Verbündeter Bolsonaros gilt, liegen mehr als 120 Amtsenthebungsanträge vor. Lira stapelt sie, bringt aber keinen einzigen zur Abstimmung. Der Opportunismus der politischen Klasse ist größer als das Gemeinwohl. Sie toleriert, dass die brasilianische Demokratie den Bach runter geht.

Baldric Schreiber

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