Die Ukrainekrise und die geopolitischen Ambitionen des neuen Deutschland (von U. Villani Lubelli)

„Die Krim ist definitiv verloren und Putin verdient Respekt“, diese Aussage von Vizeadmiral und Chef der deutschen Marine Kay-Achim Schönbach verkomplizierte die Position der Bundesregierung zum Ukraine-Konflikt, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) forderte umgehend den Rücktritt des pünktlich eingetroffenen Vizeadmirals, dennoch bleibt die von Kay-Achim Schönbach aufgeworfene Frage aktuell, insbesondere im Hinblick auf die internationale Rolle der Bundesrepublik.

Deutschland bemüht sich seit langem um ein aktives internationales Profil und im konkreten Fall der Ukraine um eine Vermittlung zwischen Russland und den Vereinigten Staaten von Amerika. In der deutschen politischen Debatte ist die Frage umstritten. Auch Bayerns Ministerpräsident Sozial Christian Markus Söder sagte in einem langen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nicht nur, dass Sanktionen gegen Russland nicht die einzige Lösung sein können, sondern dass sich der Westen unbedingt die Frage stellen müsse: „Ist eine Erweiterung der Nato in die Ukraine geplant?“ Eine Osterweiterung der NATO und damit ein Beitritt in die Organisation der Ukraine steht aus meiner Sicht nicht auf der Tagesordnung und wird es noch lange nicht sein… Russland ist ein schwieriger Partner, aber eben nicht ein Feind Europas.“ (23.1.2022). Söders Worte – wie auch Schönbachs Erklärungen – kommen, nachdem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) – anfänglich deutlich kämpferischer gegenüber Russland – bei seinen Besuchen in Kiew und Moskau Deutschlands Median bestätigte Position, weiter verstärkt durch die Abkehr von der amerikanischen Position der teilweisen Evakuierung der Botschaft in der Ukraine im Hinblick auf eine russische Invasion Diese Entscheidung wurde von der ukrainischen Regierung als übertrieben angesehen und Berlin vertrat auch eine andere Position: keine Evakuierung, sondern Übernahme der Kosten jedes Familienmitglieds des Personals, das in sein Herkunftsland zurückkehren möchte.

Deutschland zwischen Ost und West

Deutschland war historisch oft mit dem Ost-West-Dilemma konfrontiert. Es ist eine geografisch nach Osten projizierte Nation, die aber zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach dem Mauerfall politisch fest im Westen verankert ist. Festzuhalten ist jedoch, dass die Bundesrepublik aus historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gründen seit geraumer Zeit eine autonome Einflusssphäre in ihren Beziehungen zum Osten anstrebt. Auch Christoph Heusgen, sicherheitspolitischer Berater von Angela Merkel und künftiger Präsident der Münchner Sicherheitskonferenz, einem der wichtigsten internationalen Foren zu diesen Themen, sprach zu diesem Thema. Heusgen räumte in einem Interview mit der Deutschen Welle ein, dass Deutschland in der Ukraine-Krise eine aktivere internationale Rolle gespielt habe. Die deutsche Autonomie kollidierte jedoch häufig mit der amerikanischen Außenpolitik. Bereits 2014 musste Deutschland anlässlich der Invasion auf der Krim seine Position schrittweise ändern, zunächst vielleicht zu sehr im Dialog mit Moskau. Doch wenn es Deutschland in den Kanzlerjahren von Angela Merkel gekonnt gelungen ist, eine Balance zu finden, wirtschaftliche Interessen von internationalen politischen Themen zu trennen und sowohl mit Russland als auch mit China zu sprechen, scheint die neue Regierung heute noch nicht die richtigen Maßnahmen gefunden zu haben. Das Projekt North Stream 2 ist vorerst ausgesetzt und es fehlt nicht an Kontroversen und Kritik, insbesondere von Markus Söder und dem neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, über die Möglichkeit, russische Banken aus dem SWIFT-Finanzsystem auszuschließen. Eine solche Hypothese würde nach Ansicht der beiden Unionsführer der deutschen Wirtschaft übertriebenen Schaden zufügen.

Die neue deutsche Regierung

Die Regierung von Olaf Scholz muss daher, wie der Bundeskanzler im Bundestag sagte, zu einer neuen Ostpolitik mit europäischer Prägung finden, sich aber mit einer langen Tradition enger Bindungen, auch in seiner Partei, der SPD, zu Russland auseinandersetzen. Weder Scholz noch Baerbock scheinen in der Lage zu sein, diese Rolle der Vermittlung und des Dialogs zu spielen, an die uns Angela Merkel gewöhnt (und oft überrascht) hatte.

Klar ist jedoch, dass sich Putins Russland und die russische Gesellschaft insgesamt trotz der Bemühungen der Kanzlerin Merkel in den letzten Jahren nicht in eine demokratischere Richtung bewegt zu haben scheinen. Die wirtschaftliche Interdependenz hat nicht zu versöhnlicheren Positionen geführt. Und hier prallen die Grenzen der geopolitischen Ambitionen Deutschlands auf die Schwierigkeiten der aktuellen Regierung.

Auf der Suche nach einer neuen Weltordnung

Die andauernde Ukraine-Krise offenbart zwei grundsätzliche Probleme, die für die effektive Macht der Bundesrepublik wohl zu wichtig sind. Der erste betrifft die schrittweise Erweiterung der Nato nach Osten, die laut russischer Version aufgrund einer angeblichen Zusage der Vereinigten Staaten nach der deutschen Wiedervereinigung nicht hätte stattfinden dürfen und die von Russland im konkreten Fall wahrgenommen wird Ukraine, als echter Affront auf der Grundlage einer imaginären historischen und kulturellen Einheit zwischen Russland und der Ukraine. Das zweite Problem ist allgemeiner und betrifft die Schwierigkeiten, ein neues globales politisch-ökonomisches Gleichgewicht zu finden. Wie die Financial Times (24.1.2022) berichtet, sehen sich Russland und China verbündet gegen das, was Xi Jinping als internationale Kräfte definiert hat, die sich unter dem Deckmantel der Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten in innere Angelegenheiten einmischen wollen. Russland und China hingegen haben ein Interesse daran, eine Weltordnung mit geopolitischen Zonen zu schaffen, die in Einflusssphären unterteilt sind.

In diesem Szenario scheint das Hauptopfer die Europäische Union zu sein. Die ominösen Vorhersagen eines „bevorstehenden Todes der Nato“ scheinen in weite Ferne gerückt und gerade in der Ukraine-Krise erzielte Putin den Effekt, die Mitgliedsstaaten unter dem Dach des Verteidigungsbündnisses zu verdichten, offensichtlich zu Lasten einer noch immer nach einem Gemeinsamen strebenden Europäischen Union und unabhängige Außenpolitik. Die deutschen Ambitionen einer europäischen Ostpolitik kommen unter Wahrung der unverzichtbaren Rolle der NATO wieder ins Spiel.

Helene Ebner

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